Habt ihr euch schon mal von einem Didgeridoo bespielen lassen? Manche Menschen gehen wohl nicht zu einem Arzt, wenn es ihnen schlecht geht, sondern zum Didgeridoo-Spieler ihres Vertrauens. Klingt erstmal bisschen abgedreht und esoterisch, aber ist da vielleicht sogar was dahinter? Ich bin der Frage nachgegangen, inwiefern das Didgeridoo als Heilinstrument eingesetzt werden kann…

 

 

Interview Jochen Sattler

Eine Audiotranskription

 

Jochen Satttler arbeitet seit 1994 als diplomierter Musiktherapeut in der Klinik im Metznerpark in Frankenthal. Die Frankenthaler Stadtklinik ist bereits bekannt durch ihre ungewöhnlichen Therapieansätze vor allem in der Musiktherapie und hat immer wieder neue Ansätze auch wissenschaftlich überprüfen lassen.
Sattler beschäftigte sich in seiner Diplomarbeit „Das Didgeridoo – Seine Herkunft, Klangwirkung und mögliche Bedeutung in der rezeptiven Musiktherapie“ Anfang der 90er mit den therapeutischen Möglichkeiten des Didgeridoos. Durch eine Studie hat er erstaunliche Ergebnisse belegen können, über die ich unter anderem mit ihm gesprochen habe.

Können Sie kurz erklären, um was es damals in ihrer Diplomarbeit ging und was Sie dabei herausgefunden haben?

Sattler:  Es ging damals darum herauszufinden, wie sich das Didgeridoo in der rezeptiven Musiktherapie einsetzen lässt. Der spezielle Forschungsfokus, den ich gewählt habe, war: Inwieweit lassen sich mit den Klängen des Didgeridoos veränderte Bewusstseinszustände erzielen? Mithilfe des APZ Fragebogens von Adolf Dietrich lassen sich ziemlich genau qualitative und quantitative Aussagen machen über das, was mit einem Stimulus an dem Bewusstseinszustand ausgelöst werden kann. Adolf Dietrich hat drei Hauptdimensionen an bewusstseinsverändernden Dimensionen herausgearbeitet, die unabhängig auftreten. Egal ob jemand eine Substanz nimmt oder Reizüberflutung oder Extremsport… Und das sind einmal die angstvolle Ich-Auflösung, die ozeanische Selbst-Entgrenzung und die visionäre Umstrukturierung.Ich habe damals mit 38 Probanden gearbeitet. Ich habe meine Ergebniswerte gegenübergestellt denen, die Adolf Dietrich selbst erzielt hat. Er hat mit Dimethyltryptamin, eine hoch psychoaktive Substanz zum Beispiel bekannt aus der Pflanze Ayahuasca und mit THC in Reinform geforscht. Und die Ergebniswerte, die ich erzielt habe, lagen über denen, die mit THC erzielt worden sind und ungefähr auf gleicher Höhe mit denen von Dimethyltryptamin. Das war für alle höchst überraschend, dass sich mit einem akustischen Stimulus, dem Didgeridoo, so intensiv bewusstseinsverändernde Zustände auslösen lassen.
Jetzt kommt aber der große Unterschied. Die Mittelwertstreuung war sehr, sehr viel breiter bei dem Didgeridoo. Das heißt, dass bei manchen Versuchsteilnehmern sehr intensive Veränderungen stattgefunden haben und bei anderen aber gar nicht. Das bedeutet, dass es offensichtlich irgendwelche Umstände oder Bedingungen geben muss, die dazu beitragen, dass jemand sehr tief in trance-ähnliche Zustände versinkt oder eben nicht. Und da hat die Erfahrung und Praxis auch gezeigt, dass es damit zusammen hängt, ob jemand bereit ist sich darauf einzulassen, ein Stück weit auch los zu lassen oder abgelenkt wird durch Außengeräusche. Also die Klangtrance ist ein Zustand, der extrem leicht störbar ist.

Wie kann man sich den Didgeridoo Stimulus vorstellen?

Sattler: Ich hab immer die gleiche Abfolge gespielt: den Grundton und relativ gleichmäßig einen Oberton-Rhythmus. Durch eine bestimmte Technik kann man auch noch einen Ton eine Oktave tiefer erzeugen. Die Vibration, die dadurch entsteht, überträgt sich aufs gesamte Knochenskelett, praktisch auch die letzte Zelle im Körper wird in Schwingung versetzt. Und das auf eine Entfernung von 12 – 15 Meter problemlos. Da gibt’s einige Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass obertonreiche Klänge eine stärkere Trance-Induktion mit sich bringen können als weniger obertonreiche Klänge.

Ich habe auch von archetypischen Klängen gelesen, die erklären sollen, warum Menschen von unterschiedlicher Herkunft das Gleiche fühlen oder sehen, wenn sie ein Didgeridoo hören. Was wissen Sie darüber?

Sattler: Ja das war Dr. Wolfgang Strobel. Das sind Erkenntnisse, die er aus seinen jahrelangen Erfahrungen gezogen hat, die sind aber nicht valide evaluiert worden. Da müssen wir also vorsichtig sein. Im letzten Teil meiner Arbeit zeige ich, wo das Didgeridoo überall Verwendung fand und es gibt eigentlich keinen Ort der Erde, wo nicht ein ähnliches Instrument in irgendeiner Form aufgetaucht ist. Aus anderen Materialien, aber trotzdem gab es offensichtlich schon früh eine große Faszination für solche Ur-Tuben. Also man muss davon ausgehen, dass schon früh Menschen sich von diesem Klang angesprochen gefühlt haben. Da könnte man jetzt weiter spekulieren, warum fühlen sich Menschen angesprochen? Da gibt es eben Hinweise, dass diese Klänge sehr an die intra-uterine Welt erinnern, also die Klänge im Mutterleib. Wir wissen heute, dass bereits bevor das Gehör ausgebildet ist, Schwingungen bleibende Spuren hinterlassen bei dem Fötus und in Verbindung gebracht werden können mit so Erlebnisdimensionen wie „Sich-Geschützt-Fühlen“.
Wenn man sich jetzt wieder Musikrituale aus aller Welt sich anschaut, dann findet man immer wieder Hinweise darauf, dass man zum Beispiel durch Trommeln oder Rasseln versucht hat intra-uterine Klänge nach zu gestalten. Und da auch immer wieder mit Schöpfungsenergien, Ur-Energien in Kontakt zu treten. Also zum Beispiel bei Veränderungsprozessen, von der Jugend zum Erwachsenenwerden oder bei Sterbeprozessen.
Es ist ja immer wieder ein Thema, warum das Didgeridoo Menschen so fasziniert. Wenn man jetzt im psychotherapeutischen Kontext mit so Instrumenten arbeitet, da kann man sagen: Ein ganz elementarer Aspekt ist, dass man versucht dem Menschen dabei zu helfen mit elementaren Sicherheitsqualitäten wieder in Berührung zu kommen. Wenn Menschen in psychischen Krisen sind, haben sie den Zugang zu genau diesen Qualitäten verloren. Das kann man natürlich verbal machen, aber es gibt eben auch Menschen, bei denen man andere Zugangswege braucht. Da sind solche Ansätze der Königsweg.

Das heißt Sie arbeiten heute auch noch mit dem Didgeridoo? Inwiefern?

Sattler: Ja, täglich! Wir haben hier ein wunderbares Ritual jeden Morgen, wir treffen uns im Treppenhaus und machen eine halbe Stunde Morgenmusik. Das ist so eine Art Klangmeditation mit Singen und Trommeln, aber am Anfang spielt das Didgeridoo auch eine wichtige Rolle, Ruhe herzustellen, Energie rein zu tragen.
Generell bei Musik kann man nicht sagen, bei welchem Problem man welches Instrument einsetzen kann. Das kann nur der Patient selber sagen. Gerade bei dem Didgeridoo kann es natürlich sein, dass der Patient diesen Klang mit irgendwelchen üblen Erlebnissen in Verbindung bringt, die daran gekoppelt sind. Dann wird der das erstmal sehr erschreckend und abstoßend erleben. Das kann aber trotzdem sehr hilfreich in der Therapie sein – gerade um solche traumatisierende Erlebnisse aufzulösen. Diese Klänge, die daran gekoppelt sind, können dem Patienten helfen, in die Differenzierung zu gehen, also zu unterscheiden zwischen dem Didgeridoo-Klang und dem traumatisierenden Klang.

Spielen Sie dann meistens für die Patienten oder lassen sie die auch selber spielen?

Sattler: Beides, also ich spiele wie gesagt rezeptiv für die Patienten aber ich habe hier auch verschiedene Leih-Didgeridoos, die man gut desinfizieren kann. Viele Patienten, die herkommen sind permanent im Stress und das Didgeridoo ist ein fantastisches Entspannungsinstrument. Schon allein, weil der Ton nur erzeugt werden kann, wenn man loslässt. Wenn man im Stressmodus ist, kommt gar kein Ton raus. Verschiedenste Möglichkeiten für die Patienten zu sich zu kommen, zur Ruhe zu kommen, ihren Körper besser zu spüren.

Was mich immer wundert: Trotz dieser positiven Effekte hat das Didgeridoo nicht so den Stellenwert in der Medizin oder?

Sattler: Ja, das ist ein deutsches Problem. Es ist ein bisschen schwierig, wenn man mit so Ethno-Instrumenten arbeitet, wie wir das in der Klinik auch sehr intensiv tun. Da muss man das doppelt und dreifach auch wissenschaftlich bestätigen, dass das auch wirkt. Wenn Sie einen Entspannungskurs in der VHS anbieten, dann hinterfragt das keiner. Wenn Sie aber mit einem Ur-Instrument kommen, das tausende von Jahren schon eingesetzt wird, überall auf der Welt, das kann ja kein Zufall sein! Das ist schon seltsam, was sich da an Widerstand auftut. Das Problem ist, dass man schnell in eine esoterische Ecke geschoben wird. Und deswegen ist es wichtig, dass man sich auch abgrenzt: Traditionelle Heilmethoden funktionieren bei uns nicht, man kann die nicht eins zu eins übertragen. Die funktionieren nur vor diesem speziellen spirituellen Hintergrund, der einheitlich von diesen Ethnien gelebt wurde. Wenn wir hier mit solchen Instrumenten arbeiten hat jeder seine eigene Glaubensvorstellung, da muss erstmal in der Therapie mühsam eine Übereinkunft erarbeitet werden, was an Effekten erzielt werden kann und wie das gedeutet wird. Wie gesagt, es wird schnell belächelt und in eine Ecke gestellt aber völlig zu Unrecht, die Wirksamkeit ist gigantisch.
Es gibt noch ein zweites Argument, warum solche Instrumente und die Musiktherapie allgemein so einen schlechten Stellenwert haben, obwohl sie nachweislich positive Effekte haben. Wir leben in einer Medizinwelt, die maßgeblich von der Pharma-Industrie gesteuert wird. Wenn ein Medikament ähnliche Effekte erzielen würde, wie das Didgeridoo, dann würde das zu Höchstpreisen gehandelt werden. Geht aber schlecht, jeder kann das lernen und spielen. Wichtig ist aber trotzdem, wer psychotherapeutisch mit solchen Instrumenten arbeitet, sollte auch psychotherapeutisch ausgebildet sein, über die verschiedenen Schulen einen Überblick haben, sonst kann man das bleiben lassen.